PROJEKTREPORTAGE

Gran Vía 48, Madrid

Rafael de La-Hoz Arquitectos, Madrid

Die Gran Vía 48 nimmt subtil Bezüge aus ihrer historischen Nachbarbebauung auf.

Platzwunder im Souterrain

  • Autorin: Julia Macher
  • Fotos: Otto Wöhr GmbH, Rafael de La-Hoz Arquitectos

Hinter der imposanten Fassade der Gran Vía 48 logiert man luxuriös und mit fabelhaftem Blick über die Stadt. Aber auch der Unterbau hat es in sich. Ein vollautomatisiertes Parksystem bietet Platz für über 300 Autos – mitten in Madrids dicht bebauter Innenstadt.

Luxus ist man an der Gran Vía in Madrid gewohnt. Im Herzen der spanischen Hauptstadt reihen sich Prunkbauten aneinander und wetteifern mit ornamentalen Fassaden und Aufbauten um Aufmerksamkeit. Zum Emblem geworden ist das Metrópolis- Gebäude, auf dessen Kuppel ein geflügelter Ganymed balanciert. In den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ließen sich an der unter König Alfons XIII. angelegten Trasse Banken, Presseclubs und Kulturvereine nieder. Kino- und Theaterbetreiber errichteten Vergnügungspaläste, die der Straße bald den Spitznamen „spanisches Broadway“ einbrachten. In dieser illustren Nachbarschaft einen Neubau zu errichten, ist für jeden Architekten eine Herausforderung, noch dazu, wenn die künftigen Bewohner in jeder Hinsicht Komfort erwarten. Konzipiert als Zwischenresidenz für Geschäftsreisende, Vielflieger oder Reisende sollte das nach seiner Hausnummer benannte Gran Vía 48 nicht nur alle Ansprüche an luxuriöses Wohnen erfüllen, sondern auch zentral und verkehrsgünstig liegen.

Gran Vía 48.

Die streng gerasterte Glas-Granit-Fassade ist unverkennbar zeitgenössisch.

Das Madrider Büro Rafael de La-Hoz Arquitectos hat diese Aufgabe mit Verstand und Umsicht gemeistert. Architektonisch fügt sich Gran Vía 48 in die historische Nachbarschaft, ohne seine zeitgenössische Herkunft zu verleugnen. Rafael de La-Hoz Arquitectos haben einen imposanten Bau mit strenger Glas-Granit-Fassade und markantem Aufbau entworfen, der geschickt Bezüge aus seinem Umfeld aufnimmt: Dem benachbarten Pressepalast, einem an die amerikanische Moderne angelehnten Backsteinbau, geben die charakteristischen, an der Eckfront zu Türmen ausgebildeten Obergeschosse sein unverwechselbares Gesicht. Und auch de la Hoz hat seinen Entwurf auf diese Art gekrönt: Wie eine Art Ausguck kragt der Quader aus den oberen Geschossen des Seitenflügels. Auch die vertikalen, auf die doppelte Geschosshöhe verweisenden Streben an der Fassade finden sich bei den Nachbarn.

Gran Vía 48.

Das 10. Geschoss der Gran Vía 48.

De la Hoz zollt dem Art déco ringsum Respekt, ohne anbiedernd zu sein. Mit seiner strengen, hypersachlichen Glas- Granit-Fassade bleibt sein Entwurf unverkennbar zeitgenössisch und macht kein Hehl daraus, dass er der einzige Bau des 21. Jahrhunderts ist – in einer Straße, die wie keine zweite nostalgisch dem frühen 20. Jahrhundert frönt. „Mein Entwurf nimmt zwar die Rhythmen, Proportionen, Höhen seiner Nachbarn auf“, erklärt Rafael de La-Hoz , „aber Füllhörner, Schnecken, Zierbänder, die charakteristische Ornamentik der Gran Vía hat in der heutigen Architektur einfach keinen Platz.“ Bei der Gestaltung ließ sich der Architekt allein von konzeptionellen Überlegungen leiten; auf Bestand musste keine Rücksicht genommen werden: Auf dem Grundstück klaffte eine Baulücke; das ursprüngliche Gebäude, eine Bankenrepräsentanz aus den siebziger Jahren, war 2011 abgerissen worden.

„Mein Entwurf nimmt zwar die Proportionen meiner Nachbarn auf, aber die charakteristische Ornamentik der Gran Vía hat in der heutigen Architektur keinen Platz.”

Gran Vía 48.

Der Blick auf das rote Dächermeer von Madrid aus dem obersten Geschoss.

Gran Vía 48.

Der trapezförmige Grundriss war eine Herausforderung für das Parksystem: effiziente Platzausnutzung und Fahrkomfort in einem galt es zu entwickeln.

Eine klare, nüchterne Formensprache prägt auch das Innenleben. Auf zwölf Etagen finden sich 97 Wohnungen für die unterschiedlichsten Bedürfnisse: vom 50 Quadratmeter kleinen Single- Loft über das repräsentative Duplex bis zur familientauglichen Vier-Zimmer-Wohnung. Mit marmorverkleideten Duschen, eigens designten Türgriffen, Nussbaumparkett und Extras wie 24-h- Concierge, Solarium und Fitnessraum erfüllen sie alle Anforderungen an hochpreisigen Wohnraum. Der größte Luxus jedoch ist die Lage, wie sie urbaner nicht sein könnte, mitten im Herzen der spanischen Hauptstadt. Durch die wandhohen Fenster blickt man im Nordwesten über ein rotes Dächermeer, im Südosten auf das Straßentreiben und Lichterspiel der Leuchtreklamen.

„Das automatische Parksystem war von Anfang an integraler Bestandteil der Planungen; eine konventionelle Tiefgarage hätte auf dem schmalen, trapezförmigen Grundstück keinen Sinn gemacht”

Rafael de La-Hoz

Rafael de La-Hoz

„Ein konventioneller Parkplatz auf so einem schmalen Grundstück wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen: Allein die Aufund Zufahrtsrampen hätten einen Großteil der Fläche aufgefressen. Das vollautomatische Parksystem löst dieses Problem auf elegante und effiziente Weise: Der Schacht passt sich genau den Erfordernissen des Grundstücks an. Die Parkkapazität konnte erheblich gesteigert werden und so nicht nur die Bedürfnisse der Bewohner der Luxuswohnungen in der Gran Vía 48, sondern auch die der Anwohner erfüllen. Für mich ist eine ganz wesentliche Qualität von Luxus Überfluss. In der Gran Vía 48 gibt es jetzt Parkplatz im Überfluss!“
Rafael de La-Hoz, Madrid

Der Verkehr, der über die sechsspurige Straße donnert, bleibt – nicht nur akustisch – Anekdote. Denn das Parkplatzproblem, das die Bewohner der Drei-Millionen-Metropole regelmäßig zur Verzweiflung treibt, haben die Architekten durch ein vollautomatisches Parksystem der Firma Wöhr gelöst. Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich fünf Parksafes Typ 582/583, in denen die Autos via Roboter in einer Art Regalsystem vollautomatisch geparkt werden. Der Fahrer fährt seinen Wagen über eine zentrale Rampe in eine der fünf Kabinen der Safes, auf eine Parkpalette. Der Wagen wird samt Palette per Vertikallift auf eine der sieben Parkebenen gefahren und dort auf einen freien Stellplatz zur Rechten oder Linken geschoben. Zum Abholen hält der Fahrer seinen Chip an ein Lesegerät und wartet, bis der Parksafe den Wagen vom Regal wieder zurück in die Übergabekabine transportiert.

Gran Vía 48.

Im Untergeschoss des Gebäudes befinden sich fünf Wöhr Parksafes. Statt 120 Stellplätzen bei einer konventionellen Parkanlage konnten so 320 Plätze geschaffen werden.

Das automatische Parksystem war von Anfang an integraler Bestandteil der Planungen; eine konventionelle Tiefgarage hätte auf dem schmalen, trapezförmigen Grundstück keinen Sinn gemacht. „Allein die Auffahrtsrampen hätten einen Großteil der Fläche beansprucht“, sagt de La-Hoz. „So aber können wir den Grundriss optimal ausnutzen.“ Auf einer Fläche, auf der mit einem konventionellen System 120 Autos untergebracht werden könnten, finden so 320 Wagen Platz. „In einer Stadt wie Madrid, wo Parkplätze im Zentrum zu Stoßzeiten schon einmal 100.000 Euro kosten konnten, rechnet sich eine solche Investition auf jeden Fall“, ergänzt Ignacio Viñas, Projektmanger des Herstellers Wöhr.

Der Einbau des Parksystems war eine ingenieurtechnische Meisterleistung, die gut die Hälfte der vierjährigen Bauzeit in Anspruch nahm. Zunächst musste das Gelände 26 Meter tief ausgeschachtet werden, kein leichtes Unterfangen in einem dicht bebauten innerstädtischen Gebiet. Anschließend wurden die fünf Parksafes eingelassen. „Der trapezförmige Grundriss hat uns dabei einiges Kopfzerbrechen bereitet“, erzählt Viñas. „Wir mussten sowohl den Platz effizient nutzen wie auch Fahrkomfort garantieren.“ Vier der Kabinen verfügen über Drehscheiben, über die der Wagen automatisch in die richtige Park- bzw. Fahrtrichtung positioniert wird, so dass umständliches Rangieren entfällt. Das System ist lernfähig: Wer seinen Wagen häufig benutzt, dem weist es einen Platz in der Nähe der Übergabekabine zu. Aber auch Gelegenheitsnutzer warten nicht länger als zwei Minuten auf ihr Auto; die fünf Kabinen ermöglichen eine rasche Bedienung und Auslagerung.

Gran Vía 48.

Das System ist lernfähig: Wer seinen Wagen häufig benutzt, dem weist es einen Platz in der Nähe der Übergabekabine zu.

Mit 26 Euro pro Monat und Stellplatz ist die Wartung nur unwesentlich teurer als die eines konventionellen Parkplatzes. Das System könnte trotz der höheren Anfangsinvestitionen zukunftsweisend sein. Wie viele Verwaltungen versucht auch die Madrider Stadtregierung den Verkehr auf Anwohner zu reduzieren, erzählt Rafael de La-Hoz: Der öffentliche Raum soll Fußgängern und Flaneuren zurückgegeben werden. Wenn Parkplätze vermehrt platzsparend in den Untergeschossen von Wohnhäusern untergebracht werden, so die Schlussfolgerung des Büros, werden nicht nur mehr innerstädtische Flächen frei, auch die nervenstrapazierende Parkplatzsuche entfällt. Und Autofahrer und Anwohner erhalten ein Stück Lebensqualität zurück. In einer so dicht bebauten Umgebung wie dem Zentrum der spanischen Hauptstadt war es naheliegend, das Parksystem auch für Anwohner offenzuhalten. Der Eingang zum Parkhaus befindet sich daher nicht direkt im Gebäude selbst, sondern im Vorflur zwischen Haupteingang und Foyer. Für 220 Euro im Monat können sich Anwohner und Nachbarn einen Stellplatz im Untergeschoss mieten – und so am Luxus der Gran Vía 48 teil haben.

Gran Vía 48.
Gran Vía 48.

Architekten

Rafael de La-Hoz Arquitectos, Madrid

www.rafaeldelahoz.com
www.granviacapital.es

1920 gegründet, gilt das Architekturbüro Rafael de La-Hoz Arquitectos als einer der Wegbereiter der Moderne in Spanien und gehört zu den renommiertesten und traditionsreichsten des Landes. Seit über zwanzig Jahren wird das Studio von Rafael de La-Hoz Castanys, dem Enkel des Gründers, geleitet. Mit über 500 Projekten in 20 Ländern ist das Büro international tätig. Schwerpunkt sind städtische Bauten für die private und öffentliche Hand. Für seine Arbeiten hat Rafael de La-Hoz Arquitectos zahlreiche internationale Auszeichnungen erhalten, unter anderem den US-amerikanischen Architekturpreis Chicago Athenaeum, und wurde für den Brick Award und den Mies-van-der-Rohe-Preis nominiert.

Projekte (Auswahl)

2015–2017 Onkologische Klinik Bogotá, Kolumbien
2015 Kulturzentrum Miguel Delibes, Alcobendas, Madrid
2014 Kulturzentrum Daoíz y Velarde, Madrid
2013 Firmensitz Campus Repsol, Madrid
2013 Universitätsklinikum Hospital Rey Carlos de

Produktinformationen

Wöhr Parksafe 582/583 für 320 Stellplätze
Fläche Parken: ca. 912 m², Fläche pro Stellplatz: ca. 2,9 m²
Volumen Parken: ca. 15.000 m³, Volumen pro Stellplatz: ca. 47 m³
Zugriffszeit min. ca. 111 sec, max. 322 sec, Ø ca. 168 sec
Parkkapazität: ca. 93 Pkw pro Stunde

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